
Der eine Sänger will sich, wie so oft, nur einen Jux machen. Er trägt ein wallendes Gewand, eine Art Königsmantel, der ihm auf augenzwinkernde Weise jene aristokratische Würde verleihen soll, die er in seinem Song reklamiert. Mit einem Zepter in der Hand und einer Plastikkrone auf dem Haupt schmettert er seinen Ohrwurm in die vor ihm aufgebauten Mikrofone. Der Gassenhauer ist 1965 den treudeutschen Stimmungsliedern weit näher als Rock und Pop jener Zeit. Nach einer Minute und 50 Sekunden „Bin i Radi, bin i König“ ist alles überstanden, und der Saal tobt. Petar Radenkovic, für seine Fans einfach nur „der Radi“, hat das Publikum wie immer fest im Griff. Auch wenn sein Klub, der TSV 1860 München, seinen einzigen Meistertitel erst zwölf Monate später feiern sollte, war 1965 Radis größtes Jahr. Er stand in einem Europacupfinale, das die Münchner gegen West Ham United verloren, er wurde hinter seinem Torwartkollegen Hans Tilkowski Zweiter bei der Wahl zum Fußballer des Jahres und mischte mit seiner ersten Schallplatte die Hitparaden auf. Knapp fünf Jahre zuvor hatte er seine jugoslawische Heimat in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verlassen, und war aufs Geratewohl nach München gefahren. Ein Jahr lang war er zunächst gesperrt gewesen, danach hatte ihn nur Wormatia Worms verpflichten wollen, doch nun zählte er neben Winnetou, Albert Schweitzer und dem US-Präsidenten John F. Kennedy zu den größten Vorbildern der deutschen Jugend, wie eine repräsentative Umfrage ergab.
Radis historische Bedeutung steht längst fest, und das liegt nicht daran, dass „Bin i Radi, bin i König“ in bayerischen Bierzelten noch heute regelmäßig zum Einsatz kommt. Petar Radenkovic war der erste Fußballprofi in Deutschland, der sich auch als Entertainer verstand. Dazu passten seine damals noch atemberaubenden Ausflüge aus dem eigenen Tor genauso wie der Umstand, dass er auch Platten besang. Mit vier Singles kann er als einziger Kicker seiner Generation so etwas wie ein kleines musikalisches Oeuvre vorweisen, wenn auch mit jeder Veröffentlichung die Verkaufszahlen geringer wurden. Gingen von „Bin i Radi…“ noch über 400000 Exemplare über die Ladentheke, was immerhin Platz sechs in der Hitparade bedeutete, nahm das letzte Werk „Es kommt alles, alles anders“ kaum noch jemand wahr.
„I’m a leather boy, let me tell you about my scene“
Der andere Sänger meint es dagegen bitter ernst, er will ganz in Leder mit einem Mädchen an seiner Seite auf dem Motorrad der Unendlichkeit entgegenfahren: „I’m a leather boy, let me tell you about my scene/Girl, I want you here right by my side/You’ll hold me tight and my motorcycle will ride/Come on baby on a trip with me/To see the things that you never see/Let’s go to infinity“. Wie vor ihm allenfalls noch Gene Vincent ganz in enges schwarzes Leder gekleidet, tobt er in perfekt gespielter Ekstase über die Bühne. Er heult und fleht, hat Präsenz und Charisma, ist leidenschaftlich und cool zugleich. Der Sound des mit dem Motorengebrumm schwerer Maschinen unterlegten Songs ist treibender Midsixties-Beat pur. Um die Einheit von Titel und Interpret – The Leather Boy singt „I’m a Leather Boy“ – perfekt zu machen, ist er auf einer knatternden Harley auf die Bühne gerollt.
Doch wer ist dieser gleichermaßen exaltierte wie rätselhafte Rocker, der in den USA zwischen 1962 und 1967 elf Singles und eine LP veröffentlichte, dazu eine Reihe anderer, gleichfalls erfolgloser Sänger und Bands produzierte und für sie Stücke schrieb? Der also ein Hans Dampf in allen schmuddeligen Hintergassen des Popbusiness war, eine kleine, hochproduktive Ein-Mann-Manufaktur, die so ziemlich jeden Trend bediente und der kein Promotiongag zu schräg war? Der auf seinen Platten mal als The Leather Boy, mal als The World of Milan und mal nur als Milan firmierte?
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Ein Blick in den Bildteil von Radis gleichfalls 1965 publizierter Autobiografie genügt, um das Rätsel zu lösen. Der hübsche Bengel, den es wesentlich früher von Jugoslawien in die USA verschlagen hatte als Radi nach Deutschland und den die ID Card einer High School in Miami Beach als Richard Rondell ausweist, war kein anderer als der 1941 geborene, jüngere Bruder des Torwarts. In besagtem Buch wird Milan von Radi zwar so gut wie nicht erwähnt, aber es gibt ein Foto, das Milan als American-Football-Spieler zeigt und den vagen Hinweis, er würde in den USA „moderne Schlager komponieren und Schallplatten besingen“.
Milans bevorzugte Sportart war allerdings Baseball. Martin Winfree, der Informationen zu seiner Biografie zusammentrug, fand heraus, dass Milan, bevor er den Verlockungen des Rock’n’Roll erlag, in einem Farmteam der Chicago White Sox gespielt und durchaus Aussicht auf einen Profivertrag gehabt hatte. Sportliches Talent, die Liebe zur Musik und der Hang zu extrovertiertem Verhalten: Die Brüder waren bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Lebenswege wohl doch von recht ähnlichem Naturell.
Rick Rondell in Miami Beach
Musik spielte im Leben von Petar und Milan auch deshalb eine dominierende Rolle, weil ihr Vater Radaslav (genannt Rasha) vor dem Zweiten Weltkrieg in Jugoslawien ein bekannter Folkloremusiker gewesen war, der seine Songs angeblich in elf Sprachen zum Besten gab. Im Sommer 1939 brach er zusammen mit Gattin Mila zu einer Tournee in die USA auf, wo er vom Kriegsausbruch überrascht wurde. Der Rückweg nach Europa war vorerst abgeschnitten, weshalb Rasha versuchte, in Amerika sesshaft zu werden. Das war, wie Radi schreibt, auch der Grund dafür, dass er praktisch ohne Vater und Mutter bei den Großeltern aufwuchs. Wenn es aber stimmt, dass sein Bruder Milan, wie Winfree behauptet, 1941 in Belgrad das Licht der Welt erblickte, müssen die Eltern doch noch einmal nach Jugoslawien zurückgekommen sein. Sicher scheint jedenfalls zu sein, dass Milan schon als Kind in die USA kam. Radi hingegen machte sich erst mit 25 Jahren – und nach einer erfolgreichen Karriere in der Heimat, zu der zwei Pokalsiegen mit dem OFK Belgrad und die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen gehörten – 1956 nach Deutschland auf.
In Miami Beach, wo sich Radis Eltern niederließen, nahm Rasha bald auch offiziell seinen amerikanischen Bühnennamen Rick Rondell an. Landesweiter Erfolg war ihm nie vergönnt, aber auf kleiner Flamme lief die Karriere ganz ordentlich. In Miami Beach wird er oft in den Klatschkolumnen der Lokalpresse erwähnt, mit einer Sechs-Mann-Combo spielte er gelegentlich im berühmten Hotel Fontainebleau. Dort fand auch der erste öffentliche Auftritt von Milan statt, den der Vater, parallel zur Schulausbildung und den sportlichen Aktivitäten, an ein Leben als Profimusiker heranführte. Nachdem der Sohn sich abgenabelt und 1962 seine erste Platte eingespielt hatte, verlegte sich Rasha nicht ohne Erfolg auf die Malerei. Seinen Lebensabend verbrachte er in Kalifornien als Gastronom, ein Metier, in dem sich bekanntlich später auch Radi versuchte.
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Der wurde zu seinem Plattendebüt von Gus Backus überredet. Der in die einheimische Schlagerszene eingemeindete Ami vermittelte den Keeper mit dem ausgeprägten Showtalent an den Produzenten Gerhard Mendelson, der ihn bei der Decca unterbrachte. Dort bekam er exklusiven Zugang zum Material des Erfolgsautors Charly Niessen, der sechs der acht Songs texten sollte, die es von Radi gibt. Niessen war ein alter Hase mit erstaunlicher Bandbreite. Er hatte neben Musicals und Filmmusiken sowohl den Welthit „Banjo Boy“ als auch Chansons für Hildegard Knef geschrieben und Couplets für das bekannte Berliner Kabarett „Die Stachelschweine“. Sein größter Erfolg der jüngeren Vergangenheit war allerdings „Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut“ von Billy Mo gewesen.
Erst Pop-Crooner, dann Beat-Schrubber
Im Gegensatz zu Radi, der zwar mit Inbrunst bei der Sache war, aber kaum einen Ton traf, konnte Milan tatsächlich singen. Und vielleicht wäre seine Karriere ganz anders verlaufen, hätte Anfang 1963 Lou Christie nicht seinen Wehrdienst machen müssen. Der amerikanische Sänger, der seine Falsettstimme in Höhen treiben konnte wie kaum ein zweiter, hatte gerade mit „Two Faces Have I“ einen Riesenhit gelandet und für seine nächste Single eine Komposition von Milan ausgewählt. „How Many Teardrops“ kletterte in den Top 100 auch rasch nach oben, dann kam just die Einberufung zur Army. Da Christie die Platte nicht mehr promoten konnte, sahen die DJs auch keinen Grund, sie weiter aufzulegen, auf Platz 46 der Billboard-Charts war Endstation. Milan machte aus seiner Enttäuschung keinen Hehl, dass ihm ein potentieller Millionenseller durch die Lappen gegangen war. Sein bisher gutes Verhältnis zum Besitzer des Labels, auf dem Lou Christie damals veröffentlichte, ging darüber auch in die Brüche. Besitzer Morris Levy war ein Musikmogul mit allerbesten Kontakten zur Mafia und hätte Milan sicher nach oben gebracht – er hatte da so seine Methoden. Aber nun war Milan außen vor und wechselte ständig die Labels, bei acht Firmen veröffentlichte er, was ihn rückblickend wie einen Getriebenen wirken lässt. Nirgends blieb er lange genug, als dass man ihn gezielt hätte aufbauen können, überall präsentierte er sich mit anderem Image und musikalischen Konzepten. So gut sich die Platten wegen ihrer stilistischen Vielfalt heute anhören, ständig war es ein anderer Milan, der das Publikum für sich gewinnen wollte: erst konventioneller Pop-Crooner, dann ungezügelter Beat-Schrubber und schließlich sanfter, psychedelisch angehauchter Frühhippie. Hinzu kam, dass seine Veröffentlichungen eben unter drei verschiedenen Namen auf den Markt kamen. Eine durchdachte Karriereplanung sieht definitiv anders aus.
Aber – so viel Spekulation muss erlaubt sein – was wäre eigentlich gewesen, wenn Milan Mitte der sechziger Jahre versucht hätte, den deutschen Markt zu erobern? Wenn Radi seinen kleinen Bruder über den großen Teich gelockt und dem hierzulande völlig Unbekannten einige Türen geöffnet hätte? Möglich wäre das sicher gewesen. Außerdem sah Milan gut aus und war als Sänger, Komponist, Arrangeur und Produzent so talentiert, dass die deutsche Musikindustrie, die sowieso gerne auf Importe setzte, begeistert hätte sein müssen. Und was wäre gewesen, wenn die beiden Brüder gar im Duett losgelegt hätten?
Ein Verkehrsunfall und seine Spätfolgen
So blieb es bei einer fast unheimlich anmutenden Verbindung beider Karrieren. Denn der Verkehrsunfall, bei dem sich Milan 1971 so schwere Kopfverletzungen zuzog, dass er an den Spätfolgen noch vor seinem 30.Geburtstag sterben sollte, ereignete sich in unmittelbarer Nähe von Gus Backus’ Geburtsort Southampton auf Long Island. Des Mannes also, der Radi zum Singen überredet hatte.
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